EuGH verneint Rücktrittsrecht bei Zinssatzänderungen von Kreditverträgen
Der EuGH (18.6.2020, C-639/18, KH/Sparkasse Südholstein) hatte sich im deutschen Anlassfall mit dem Widerrufsrecht bzw Rücktrittsrecht bei Kreditverträgen im Fernabsatz auseinanderzusetzen: Eine Konsumentin schloss drei Darlehensverträge mit einer Bank ab. Die Vertragsvereinbarung sah vor, dass jede Partei berechtigt ist, nach einer gewissen Zeit die Anpassung des ursprünglich vereinbarten Zinssatzes zu verlangen. In weiterer Folge schlossen die Vertragsparteien unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln solche vereinbarten Anschlusszinsvereinbarungen. Beim Abschluss dieser Vereinbarungen wurde die Konsumentin von der Bank nicht über ihr Widerrufsrecht informiert. Jahre später erklärte die Konsumentin dann ihren Widerruf zu den Anschlusszinsvereinbarungen. Sie vertrat die Ansicht, dass die Abschlusszinsvereinbarungen Fernabsatzverträge darstellen und – da sie nicht über das Widerrufsrecht belehrt wurde – ihr das Widerrufsrecht weiterhin zustehe. Die Bank entgegnete, dass die Anschlusszinsvereinbarungen keine eigenen Finanzabsatzverträge darstellen und die Klage abgewiesen werden soll. Daraufhin legte das Gericht dem EuGH folgende Vorlagefrage vor:
Fällt eine Änderungsvereinbarung zu einem Darlehensvertrag, wenn durch sie lediglich der ursprünglich vereinbarte Zinssatz geändert wird, aber alles andere unverändert bleibt und diese Änderungsmöglichkeit bereits ursprünglich vorgesehen war, unter den Begriff „Finanzdienstleistungen betreffenden Vertrag“?
Gem Art 1 Abs 2 Fern-Finanzdienstleistungs-RL ( umgesetzt in AUT in § 2 Abs 1 FernFinG) gelten die Bestimmungen der RL bei Verträgen über Finanzdienstleistungen, die eine erstmalige Dienstleistungsvereinbarung mit daran anschließenden aufeinander folgenden Vorgängen umfassen, nur für die erste Vereinbarung und falls es keine erstmalige Dienstleistungsvereinbarung gibt, aber aufeinander folgende Vorgänge, die in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, nur für den ersten Vorgang.
- Erstmalige Dienstleistungsvereinbarung: zB Kontoeröffnung, Erwerb einer Kreditkarte
- Vorgänge: zB Einzahlungen auf das eigene Konto, Abhebungen, Zahlungen per Kreditkarte
- Aber: Erweiterung einer ersten Vereinbarung um neue Komponenten stellt einen Zusatzvertrag dar, der in den Anwendungsbereich der RL fällt
Gem Art 3 Abs 1 Z 3 lit a Fern-Finanzdienstleistungs-RL (§ 5 Abs 1 Z 3 lit a FernFinG) muss der Konsument über sein Widerrufsrecht informiert werden. Das Widerrufsrecht besteht grundsätzlich 14 Tage, aber gem Art 6 Abs 1 TS 2 Fern-Finanzdienstleistungs-RL (§ 8 Abs 4 FernFinG) beginnt das Widerrufsrecht erst mit der Informationserteilung durch die Bank darüber zu laufen.
Kein Widerruf möglich
Im konkreten Fall erfolgte die Festlegung eines neuen Zinssatzes durch eine Anschlusszinsvereinbarung hier auf Basis einer bereits im ursprünglich abgeschlossenen Darlehensvertrag vorgesehenen Neuverhandlungsklausel.
Der EuGH entschied, dass die Festlegung eines neuen Zinssatzes durch eine Anschlusszinsvereinbarung in Erfüllung einer bereits im ursprünglichen Vertrag vorgesehenen Neuverhandlungsklausel keine erstmalige Dienstleistungsvereinbarung, kein Vorgang und keine Zusatzvertrag ist.
Der Anwendungsbereich der Fern-Finanzdienstleistungs-RL (somit des FernFinG) ist nicht gegeben und somit besteht keine Pflicht der Bank über das Widerrufsrecht zu informieren. Die Kundin konnte somit nicht von den Anschlusszinsvereinbarungen zurücktreten.
Voelkl Rechtsanwaelte am 10. August 2020